Lysosomale Speichererkrankungen besser verstehen –
Interview mit Univ. Prof. Thomas Stulnig
Lysosomale Speicherkrankheiten können in der Ausprägung ihrer Symptome stark variieren. Alle haben sie jedoch gemeinsam, dass den Betroffenen ein Enzym fehlt oder nur teilweise funktionsfähig ist und es sich um seltene Erbkrankheiten handelt, von denen weniger als 5 von 10.000 Menschen betroffen sind.
Diese rund 50 genetisch bedingten Stoffwechselerkrankungen verlaufen oftmals sehr unterschiedlich. Ein konkretes Augenmerk wollen wir heute auf den Morbus Gaucher, die häufigste lysosomale Speicherkranheit (LSD), den Morbus Fabry, Morbus Pompe sowie MPS (Mukopolysaccharidose) legen.
Die „Waisenkinder der Medizin“ werden auch deshalb so genannt, weil mitunter der Weg zur adäquaten Therapie ein äußerst langer sein kann. Anders für Universitätsprofessor Dr. Thomas Stulnig,
der an der klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der medizinischen Universität Wien Klinik für Innere Medizin III arbeitet und forscht. In einem Interview erläutert er, wie lysosomale Speicherkrankheiten (kurz LSD) effektiv behandelt werden können.
Herr Professor Stulnig, was sind sogenannte lysosomale Speichererkrankungen und wie kann man sie denn behandeln?
Antwort: Als lysosomale Speicherkrankheiten werden bestimmte Formen von angeborenen Stoffwechselerkrankungen bezeichnet. Bei den betroffenen Patienten fehlt aufgrund eines genetischen Defekts ein bestimmtes Enzym oder es ist nicht ausreichend vorhanden. Je nachdem, um welchen Enzymmangel es sich handelt, spricht man z.B. von Morbus Gaucher, Morbus Fabry, Mukopolysaccharidose I (MPS I) oder Morbus Pompe.
Diese vier Krankheiten können heute mit einer Enzymersatztherapie meist – je nachdem, in welchem Stadium der Krankheit die Diagnose erstellt wurde – ganz gut behandelt werden.
Herr Professor Stulnig, wie kann sich der nicht oder noch nicht informierte Laie diesen Vorgang und die Art der Behandlung vorstellen?
Antwort: Normalerweise sorgen Enzyme dafür, dass die im Stoffwechsel anfallenden Abfallstoffe in den Lysosomen, die für die Abfallbeseitigung der Zellen verantwortlich sind, entsorgt bzw. wieder aufgearbeitet werden. Wenn das in Folge des Enzymmangels nicht geschehen kann, sammeln sich die Abfallstoffe in den Zellen an und verursachen so Störungen im Stoffwechsel. Anfangs kann dies auch mit wenigen Einschränkungen verbunden sein. Im unbehandelten weiteren Verlauf kann es aber zur massiven Vergrößerung oder zum Untergang von Zellen führen und je nach Art des Defekts kommt es dann zu Schädigungen des Nervensystems, der Knochen, der Muskeln, Nieren und Milz, des Herzens und weiterer Organe.
Das dem jeweiligen Krankheitsbild entsprechende fehlende Enzym kann mittels einer seit 15 Jahren bewährten Infusionstherapie ersetzt werden. Dabei wird das fehlende Enzym, beim Morbus Gaucher beispielsweise die ß-Glukozerebrosidase, biotechnologisch hergestellt und dem Körper als Infusion zugeführt. Da Lysosomen auch Stoffe aus der Umgebung aufnehmen können, sind die eingesetzten Enzyme so modifiziert, dass sie sehr effizient in die Lysosomen gebracht werden. So können die in den Fresszellen (Makrophagen) gespeicherten Glukozerebroside abgebaut werden. Man kann dies mit der Insulinersatztherapie bei der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) vergleichen, nur dass eben nicht das fehlende Hormon Insulin sondern das fehlende Enzym ersetzt wird.
Herr Professor Stulnig, was passiert mit der Substanz im Körper?
Antwort: Wie alle Substanzen im Körper wird auch das zugeführte Enzym ß-Glukozerebrosidase wieder abgebaut. Aus diesem Grund muss die Infusionstherapie regelmäßig und ein Leben lang durchgeführt werden. Im Gegensatz zur symptomatischen Behandlung greift die Infusionstherapie direkt an der Ursache der Erkrankung. Daher spricht man auch von einer kausalen Therapie.
Herr Professor Stulnig, gilt dies für alle diese vier lysosomalen Speichererkrankungen?
Antwort: Mehr oder weniger ja. Seit Anfang 2006 steht allen Pompe Patienten neben der weiterhin wichtigen symptomatischen Therapie eine Infusionstherapie zur Verfügung. Diese Therapie ersetzt von „außen“ das fehlende Enzym saure Alfa Glukosidase und hilft Glykogen in den Lysosomen des Muskels abzubauen. Viele Patienten profitieren seitdem weltweit von dieser Therapie.
Auch das Krankheitsbild „Mukopolysaccharidose Typ I“, in der Vergangenheit auch als Morbus Hurler, Morbus Hurler-Scheie und Morbus Scheie bekannt, zählt zu den seltenen angeborenen lysosomalen Speicherkrankheiten. Bedingt durch einen genetischen Enzymdefekt, der zu einem Mangel des lysosomalen Enzyms alpha-Iduronidase führt, reichern sich Zuckermoleküle in fast allen Geweben und Organen des Körpers an. Das Enzym ist für den Abbau von Mukopolysacchariden im Körper zuständig. Diese langkettigen Zuckermoleküle sind am Aufbau von Binde- und Stützgewebe (z.B. Haut, Knorpel, Knochen, Gelenkflüssigkeiten) beteiligt. Ist der notwendige Abbau gestoppt, kommt es zur krankhaften Anreicherung von Speichersubstanzen, sogenannten Glykosaminoglykane (GAG), in den Zellen.
Herr Professor Stulnig, wie sehen zukünftige Therapieoptionen aus?
Antwort: Heute stehen zur Behandlung von LSDs wirksame Enzymersatztherapien zur Verfügung. Vielversprechende Entwicklungen gehen in Richtung orale Therapien (Tabletten), die eine massive Vereinfachung der Therapie für Patienten darstellen.
Herr Professor Stulnig, noch eine letzte Frage: Wo sind ihrer Meinung nach diese Patienten am besten betreut?
Antwort: Patienten mit LSDs gehören zweifelsohne an ein Stoffwechselzentrum!
Danke für das Gespräch.
Univ. Prof. Thomas Stulnig
Univ.Prof. Dr. Thomas Stulnig wurde mit 1.11.2019 zum Vorstand („Primarius“) der 3. Medizinischen Abteilung mit Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie am Krankenhaus Hietzing bestellt.
„Ich freue mich über die große Auszeichnung und die Herausforderungen, die diese Position mit sich bringt! Die Weiterentwicklung dieser höchst renommierten Abteilung in ihren Schwerpunkten ist mir ein besonderes Anliegen.
Seit vielen Jahren engagiere ich mich intensiv klinisch und wissenschaftlich in der Inneren Medizin und dem Spezialgebiet „Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten“. Meine Expertise dazu erwarb ich in Wien und am Karolinska Institut in Schweden. Laufend bilde ich mich auf nationalen und internationalen Kongressen fort und gebe mein Wissen und meine Erfahrung gerne in Fortbildungveranstaltungen an Ärzte im In- und Ausland weiter. “